Am 1. Oktober¹ feiern wir das Gedächtnis der heiligen Thérèse von Lisieux oder Theresia vom Kinde Jesu und vom heiligen Antlitz (1873-1897), wie ihr Ordensname lautete. Diese außergewöhnliche Heilige, deren Selbstbiographie Geschichte einer Seele zu den meistgelesenen geistlichen Werken des Christentums gehört, drängte es schon von frühester Kindheit, ihr Leben voll und ganz Jesus zu weihen. Mit einer Ausnahmegenehmigung ihres Bischofs durfte sie bereits als Fünfzehnjährige in den Karmelitenorden eintreten. Schon neun Jahre später ging sie in die Ewigkeit ein.
Heute wollen wir über die wunderbare Heilung von einem schweren Nervenleiden berichten, die ihr als Zehnjährige durch die Muttergottes zuteil wurde. Das Leiden nahm mit chronischen Kopfschmerzen seinen Anfang, die sie aber tapfer ertrug, weil sie niemandem eine Last bereiten wollte: “Gegen Ende des Jahres [1882] wurde ich von einem ständigen Kopfweh befallen, das mir fast keine Beschwerden machte, ich konnte meine Schularbeit fortsetzen, und niemand war meinetwegen beunruhigt, so ging es bis zum Osterfest 1883.”
Nach dem Osterfest wurde die Krankheit schlimmer – heftiger Schüttelfrost, den sich auch der herbeigerufene Arzt nicht erklären konnte, fesselte sie ans Bett, dazu kam eine große Traurigkeit, die nicht auf irgendwelche äußeren Umstände zurückzuführen war. Mit einiger Mühe konnte sie am 6. April 1883 gerade noch der Einkleidung ihrer geliebten Schwester Pauline beiwohnen – danach verschlimmerte sich die Krankheit so sehr, “dass ich nach menschlichem Ermessen nicht mehr genesen sollte… Ich sagte und tat Dinge, die ich gar nicht dachte, fast ständig schien ich in einem Wahn befangen und sagte Worte, die keinen Sinn hatten, und doch bin ich sicher, dass ich keinen einzigen Augenblick des Gebrauchs meiner Vernunft beraubt war… Ich schien oft in Ohnmacht zu liegen und machte nicht die leiseste Bewegung, ich hätte dann mit mir vornehmen lassen, was immer man wollte, sogar mich töten, und doch hörte ich alles, was um mich her gesprochen wurde, und kann mich auch noch an alles erinnern.”
Doch ihr eigener trauriger Zustand ist ihr nur deshalb der Betrachtung wert, weil sie damit anderen Anlass zu Leid und Opfern gegeben habe: ihrem Onkel und ihrer Tante, und ihren Schwestern, die sie pflegten: “O meine lieben Schwesterchen, was habe ich euch Leid angetan! Niemand hat euch so viel Kummer verursacht wie ich, und niemand hat so viel Liebe empfangen wie ich, die ihr mich damit überschüttet habt.”
Die Krankheit steigerte sich schließlich so sehr, dass sie nicht nur permanent das Bett hüten musste, sondern ihre eigenen Schwestern nicht mehr erkannte – dass sie verzweifelt nach ihrer Schwester Marie rief, die währenddessen ebenso verzweifelt bei ihr stand und sich erkenntlich zu machen suchte.
In dieser ausweglosen Stimmung wandte sich Thérèse an die Jungfrau Maria und flehte um ihr Erbarmen. Da geschah es: “Plötzlich erschien mir die Muttergottes, schön, so schön, dass ich nie Schöneres gesehen hatte, ihr Antlitz atmete unaussprechliche Güte und Zärtlichkeit; was mir aber bis ins Innerste drang, das war das bezaubernde Lächeln der Seligsten Jungfrau. Da zerstoben alle meine Leiden, zwei dicke Tränen entquollen meinen Augen und rollten lautlos über meine Wangen; aber es waren Tränen ungetrübter Freude… Oh! dachte ich, die Seligste Jungfrau hat mir zugelächelt, was bin ich glücklich… aber nie will ich es jemandem erzählen, denn sonst würde mein Glück verschwinden. Ohne jede Anstrengung senkte ich die Augen und sah Marie, die mich mit Liebe anblickte… Ja, ihr, ihren ergreifenden Gebeten verdankte ich die Gnade des Lächelns der Himmelskönigin. Als sie meinen Blick unverwandt auf die Statue gerichtet sah, hatte sie sich gesagt: ‘Thérèse ist geheilt!’”
In diesem Moment war die Krankheit wirklich von ihr genommen – von einem Augenblick zum andern! Dennoch litt sie beim Nachdenken über diese Krankheit noch einige Jahre schwere Seelenpein – erst vier Jahre später, als sie ihre Pilgerfahrt nach Rom antrat, «zu Füßen Unserer Lieben Frau vom Siege sollte ich mein Glück wiederfinden, dann aber wurde es mir in seiner ganzen Fülle zurückgegeben.»
Diese Seelenpein hatte zwei Gründe: Erstens wurde sie von ihren Geschwistern nach Einzelheiten ihrer Begegnung mit Maria gefragt, und sie litt daran, dass ihre Antworten ihr im Vergleich zu dem, was sie erlebt hatte, so unzulänglich vorkamen, weil Worte nicht ausreichten, um die Tiefe dieses Erlebnisses zu beschreiben. Immerhin hatte sie im Moment der Begegnung das starke Bedürfnis, diese Begegnung mit niemandem zu teilen – aber ihre Schwester Marie hatte “erraten, dass mir die Seligste Jungfrau irgendeine verborgene Gnade gewährt hatte” und sie daraufhin befragt.
Wir leben in einer Kultur, in der alles zerredet, profanisiert und banalisiert wird, in der zu jedem Anlass gleich Gesprächskreise gebildet werden, in denen man sich mit anderen austauscht, “um uns im Diskurs gegenseitig zu bereichern und die gemeinsame Wahrheit zu finden”, und wie die Phrasen sonst noch lauten. In einer solchen Zeit können wir uns von der Heiligen abschauen, dass es in unserem Glaubensleben einen innersten Bereich geben sollte, in dem die Seele sich zum spiegelnden Brunnen für die Liebe des Ewigen macht – einen Bereich, den wir mit niemandem teilen als mit unserem Herrn Jesus Christus und Maria allein.
Eine zweite Sache quälte die heilige Seele immer wieder: der Gedanke, dass sie diese Krankheit, wenn es doch keinen äußeren Grund für sie zu geben schien, irgendwie selbst herbeigeführt hätte. Diese Qualen waren sicher keine Skrupulosität: vielmehr sah sie in ihrer Reinheit und Demut gar nicht ihr eigenes Leiden, sondern immer nur die Lasten und Leiden der anderen, die sie in ihrer Krankheit pflegten. Weder ihre Schwestern, ja nicht einmal der Beichtvater konnte sie darüber beruhigen, der meinte, es sei unmöglich, eine Krankheit solcher Schwere vorzutäuschen. Erst mit ihrem Eintritt in den Karmel wurde dieses “innere Martyrium” ganz von ihr genommen.
[Alle Zeugnisse der hl. Thérèse sind entnommen aus dem Buch “Therese vom Kinde Jesus. Selbstbiographische Schriften”, Johannes Verlag Einsiedeln, 16. Auflage, 2009]
¹ Im neuen liturgischen Kalender. Bis 1962 lag ihr Festtag auf dem 3. Oktober.