Mission Maria

Zum Fest Mariä Opferung

von Rüdiger Plantiko

Am 21. November, fast am Ende des Kirchenjahres feiern wir noch ein besonderes Marienfest: das Fest Mariä Opferung – in der neuen Liturgie heißt es Gedenktag Unserer Lieben Frau in Jerusalem. Der Festinhalt ist, dass Maria schon von Kindheit an ein Gott geweihtes Leben führte. Der Blick wird auf das Vorleben Mariens gerichtet, eigentlich aber auf ihr ganzes Leben als “Magd des Herrn”.

Das verborgene Leben Jesu und Mariens

Mit dem Leben Mariens ist es ähnlich wie mit den ersten dreißig Erdenjahren Jesu: die Evangelien berichten nur wenig darüber. Daher nennen wir das Leben Jesu bis zu seiner Taufe am Jordan auch sein verborgenes Leben. Wir dürfen annehmen, dass es Gründe für dieses Schweigen gibt: dass nämlich diese ersten Jahre seines Lebens nichts enthalten, was für unser ewiges Heil notwendig wäre – anders als die nachfolgenden drei Jahre, die im Erlösungswerk unseres Herrn gipfelten – dem freiwillig auf sich genommenen Tod und seiner glorreichen Auferstehung.

So wie es ein verborgenes Leben Jesu gibt, gibt es auch ein verborgenes Leben Mariens. Wer Maria aus den Evangelien kennen- und liebengelernt hat, dem mögen manche Fragen aufsteigen – denn wen man liebt, den möchte man tief kennenlernen: Wie waren die Umstände ihrer Geburt? Wie wuchs sie auf? Wie war ihr Leben mit dem Jesusknaben? Wohl ist Maria vom Beginn bis zum Ende des Erdenlebens Jesu in den Evangelien präsent, und immer erscheint sie da ganz dem Gottmenschen zugewendet. Und wenn auch wenige äußere Begebenheiten berichtet werden, so wird doch angedeutet, dass sie in besonders inniger, kontemplativer Weise an Jesu Leben teilnahm: seine Worte und Taten wirkten tief in ihr, und sie bewegte und bewahrte alles in ihrem Herzen. Aber der Lebensgang von Maria selbst wird in den Evangelien nicht beleuchtet – insbesondere die Zeit vor ihrer Verlobung mit Joseph und ihrer Empfängnis Jesu. Wie beim verborgenen Leben Jesu ist dieses Schweigen der Evangelien über Mariens Leben wohl darin begründet, dass nichts zu den Heilswahrheiten hinzugefügt würde, um die es den Evangelien geht.

Das Protoevangelium des Jakobus

Ein wenig Licht in das Dunkel kann das apokryphe Protoevangelium des Jakobus bringen, das etwa in der Mitte des 2. Jahrhunderts niedergeschrieben wurde und vielleicht in Teilen auf überliefertem Wissen basiert, das die ersten Christen von der Gottesmutter hatten. Es wurde nicht in den Kanon der Heiligen Schrift aufgenommen und gilt damit nicht als irrtumsfreie, vollständig vom Heiligen Geist inspirierte Schrift. Aber es kann trotzdem vom Heiligen Geist angeweht sein und enthält manches, was die biblische Berichte von Maria auf wunderbare Weise ergänzt und erhellt.  

Der Bericht über die Weihe Mariens im Tempel

Aus dem Protoevangelium kennen wir nicht nur die Namen der Eltern Mariens, die wir bis heute als die hl. Anna und den hl. Joachim verehren. Wir erfahren auch, dass sie kinderlos und schon hochbetagt waren, als ihnen die Gnade der Geburt Mariens geschenkt wurde. Voller Freude und Dankbarkeit über dieses Geschenk versprachen sie ihre Tochter dem Herrn und gaben sie, als sie ihr drittes Lebensjahr vollendet hatte, in den Tempeldienst. Das ist das Bild, das uns zum Fest Mariä Opferung vor Augen steht: wie das kleine Mädchen voller Freude, auf den Tempelstufen tanzend ihr gottgeweihtes Leben antritt (wie einst David tanzte, als er die Bundeslade nach Jerusalem überführte, vgl. 2. Sam 6,12-14):

Das Mädchen wurde nun drei Jahre alt, und Joachim sprach: „Rufen wir die keuschen Töchter der Hebräer, und sie sollen jeweils eine Fackel nehmen, und diese sol­len brennend sein, damit sich das Kind nicht zurückwende und sein Herz vom Tempel des Herrn weggelockt werde!“ Und so verfuhren sie, bis sie in den Tempel des Herrn hin­ aufkamen. Da nahm es der Priester des Herrn in Empfang, und nachdem er es geküsst hatte, segnete er es und sprach: „Gott, der Herr, hat deinen Namen groß gemacht unter allen Generationen. An dir wird der Herr am Ende der Tage die Erlösung den Söhnen Israels offenbaren.“ Da setzte er es auf die dritte Stufe des Altars, und Gott, der Herr, legte Anmut auf es herab, und es tanzte auf seinen Füßen umher: Und das ganze Haus Israel gewann es lieb.  

Nun ist die Jungfrau Israels in den Tempel eingezogen – die wahre Bundeslade, für die die heilige Arche der Israeliten ein geheimnisvolles Vorbild war! 

Sicher wurde das Mädchen in den folgenden Jahren im Tempel auf die bestmögliche Weise zum Gebet angeleitet – und zur Kontemplation der Heiligen Schrift. Der Text sagt, dass sie «im Allerheiligsten erzogen wurde» und «Nahrung von den Engeln empfing». Als sie mit zwölf Jahren zur Frau wurde, suchten die Priester einen frommen Mann aus der Gemeinde, dem sie anvertraut werden sollte. Ein göttliches Zeichen wies sie zum hl. Joseph, der zu dieser Zeit bereits ein betagter Mann war und Kinder hatte. Dieser nahm sie in seine Obhut – in einer keuschen Form des gemeinsamen Lebens, die wir bis heute eine Josephsehe nennen. Den Fortgang kennen wir aus den Evangelien.

«Kein Mensch, der von einer Frau geboren ist, hatte je die Gabe des beschaulichen Gebetes in so hohem Grade als Maria, und ihr ganzes Leben war gleichsam eine heilige Entzückung; denn ihre Erkenntnis Gottes überstieg die Kenntnis aller Menschen, und nach dem Maße ihrer Erkenntnis wuchs ihre Liebe, die ihr Herz gleich einer heiligen Flamme verzehrte.“ (Hl. Ambrosius von Mailand)

Lassen wir uns begeistern von der brennenden Gottesliebe, die Maria von Kindheit an in sich verspürt haben muss! Lasst uns ihr nacheifern und die Worte Gottes auch in unseren Herzen bewegen! Preisen wir Maria, die uns durch ihren Sohn die endgültige Erlösung von dem Fluch brachte, der auf dieser Welt lastet!

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