Von Rüdiger Plantiko
Das Hochfest der Unbefleckten Empfängnis
Am 8. Dezember blicken wir mit einem Fest von durch und durch adventlicher Stimmung auf Maria und durch sie auf Jesus: unser Glaube lehrt, dass die allerseligste Gottesmutter Maria in ihrem ganzen Leben nicht nur frei von jeder persönlichen Sünde blieb, sondern schon im Leib ihrer Mutter, der hl. Anna, frei von dem Makel der Erbsünde empfangen wurde. Dies ist es, was wir im Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens (Conceptio Immaculata Beatae Mariae Virginis) feiern. Gott hat Maria mit diesem wunderbaren Gnadenprivileg ausgestattet, um sich ein würdiges Gefäß für seine Ankunft in dieser Welt zu bereiten. Wir bekommen mit dieser Glaubenswahrheit gleichsam einen Einblick darin, wie der Herr seine Menschwerdung feierlich vorbereitete.
Der selige Papst Pius IX. definierte am 8. Dezember 1854 unseren Glauben an die Unbefleckte Empfängnis Mariens in der Dogmatisationsbulle Ineffabilis Deus: dass “die seligste Jungfrau Maria im ersten Augenblick ihrer Empfängnis durch ein einzigartiges Gnadengeschenk und Vorrecht des allmächtigen Gottes im Hinblick auf die Verdienste Christi Jesu, des Erlösers des Menschengeschlechts, von jedem Makel der Erbsünde rein bewahrt blieb.”
Maria trat also im Zustand der heiligmachenden Gnade in diese Welt (und bewahrte sich diesen Zustand bis zu ihrem Tod). Daher wurde sie vom Engel als gratia plena tituliert, als Gnadenvolle. Dieses Ave, gratia plena bei Lk 1,28 ist die erste Bibelstelle, die einschlussweise die Unbefleckte Empfängnis Mariens in sich enthält. Dass es mit diesem Gruß eine ganz besondere Bewandnis hat, bemerkte sie selbst, denn «sie dachte darüber nach, was dies für ein Gruß sei» (Lk 1,29).
Die zweite Stelle ist Lk 1,42: Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht Deines Leibes Jesus. Auch dieser Gruß an Maria wurde in das Gebet Ave Maria aufgenommen. Es wird ein Parallelismus hergestellt: der Segen Gottes ruht auf Dir, so wie der Segen Gottes auf Deinem Sohne ruht. Dieser Parallelismus legt die Folgerung nahe, dass die Mutter ebenso wie der Sohn von allem Makel der Erbsünde frei blieb.
Maria, die neue Eva
Eine weitere Begründung des Dogmas ergibt sich aus der Beziehung zwischen Maria und Eva, der Bedeutung von Maria als der neuen Eva, die sich schon bei den Kirchenvätern findet, etwa bei Ephräm dem Syrer († 373):
Zwei Unschuldige, zwei Einfache, Maria und Eva, waren sich ganz gleich. Später jedoch wurde die eine Ursache unseres Todes, die andere Ursache unseres Lebens.
Das lässt sich auf die Erbsünde anwenden: worin sich die erste Eva und Maria, die neue Eva gleich sind, ist ihr Gnadenstand: beide waren von Beginn ihres Daseins an frei von der Erbsünde. Aber durch Eva kam die Erbsünde auf die Menschen, und durch Maria wurde sie von uns genommen – indem sie unseren Erlöser gebar.
Auch Maria war erlösungsbedürftig
In der Formulierung des Glaubenssatzes durch Papst Pius IX. heißt es, dass Maria dieses Gnadengeschenk “in Hinblick auf die Verdienste Christi Jesu” erhielt. Das ist wichtig, denn Maria war, wie jedes Adamskind, erlösungsbedürftig. Die Erlösung von der Erbsünde hat uns aber Christus durch den freiwillig auf sich genommenen Tod am Kreuz erworben. Obwohl Maria vor diesem Ereignis empfangen wurde, wurde ihr in der göttliche Vorausschau des Heils bereits Anteil an dieser Erlösung geschenkt. Sie empfing die Gnade der praeredemptio, der Vorerlösung – auch darin ist sie einzigartig unter allen Menschen.
Die Befreiung von der Last der Erbsünde
Mit der Ausnahme Mariens sind wir alle unter der Last der Erbsünde geboren. Es gehört zu dem “Gesetz, nach dem wir angetreten”, dass eine Art Schwerkraft auf uns lastet und uns nach unten zieht, weg von unserem eigentlichen Ziel: der Gemeinschaft mit Gott. Würde nicht immer wieder Gott durch seine Gnaden und seine Barmherzigkeit in uns wirken, so würde die erbsündlich bedingte Trägheit unseres Herzens uns unweigerlich in den geistigen Tod führen. Erst die heilige Taufe löscht die Erbsünde in der Wurzel in uns aus und pflanzt das übernatürliche göttliche Leben in unsere Seele, so dass wir wahrhaft zu Kindern Gottes werden.
Als Getaufte sind wir zwar in der Wurzel von der Erbsünde befreit, leiden aber in diesem Leben wie alle Menschen weiterhin an den Folgen der Erbsünde: unsere Leiber sind verderblich und anfällig für Krankheiten, und irgendwann müssen wir unweigerlich den leiblichen Tod sterben. Auch bleiben wir der Sünde zugeneigt, unser Erkennen bleibt verdunkelt, und unser Wille schwach. Wir leben in einer Welt, die immer noch unter dem Fluch der Erbsünde steht. Nur indem wir uns durch Gebet und den Empfang der Heiligen Sakramente immer wieder für die Barmherzigkeit Gottes öffnen, dürfen wir hoffen, nicht wieder zurückzufallen in den geistigen Tod – die Trennung von Gott.
Es ist beglückend, auf unserm irdischen Pilgerweg auf Maria blicken zu können, die Vorerlöste und die Ersterlöste: sie zeigt uns, dass ein Ausweg möglich ist, indem wir uns ihrem Sohn anvertrauen und durch den Glauben an ihn mit Gott versöhnt werden. Sie zeigt uns, worauf es wirklich ankommt im Leben – ebenso Ja zu Gott zu sagen, wie Maria es mit ihrem schlichten Fiat getan hat: “Mir geschehe nach deinem Wort”. Und wir können mit ihr, der Ersterlösten, die Freude empfinden, wenn sie im Magnificat jubelt: