Alphons von Liguori (von der Redaktion zusammengefasst und ergänzt)
Der tiefe Schmerz der Mutter
Wenn eine Mutter ihr totes Kind zum Grab begleiten muss, übersteigt dieser Schmerz alle anderen. Maria, die ihren gekreuzigten Sohn in den Armen hielt, musste ihn im Grab zurücklassen – ohne Hoffnung, ihn auf Erden nochmals zu sehen.
„O mein Sohn“, scheint sie mit Hiob zu sagen: „Du bist mir grausam geworden.“ Alle Zeichen der Liebe, die sie von Jesus empfangen hatte, wurden nun zu Pfeilen des Schmerzes. Je mehr sie ihn geliebt hatte, desto mehr litt sie an seinem Verlust. Der hl. Bernhard lässt sie sprechen: „Du warst mir Vater, Sohn, Bräutigam – mein Leben. Mit dir habe ich alles verloren.“
Die Jünger trugen Jesu Leib zum Grab. Maria folgte – still, gebrochen, inmitten heiliger Frauen und Engel. Sie sagte zur hl. Birgitta: „O wie gerne wäre ich dort geblieben mit meinem Sohn.“ Doch es war nicht Gottes Wille. Also begleitete sie ihn, ließ Nägel und Dornenkrone mit ins Grab legen. Als der Stein gehoben wurde, baten die Jünger sie: „Sieh deinen Sohn – und nimm Abschied.“
„Soll ich dich nie mehr sehen?“, wird sie gedacht haben. „Nimm diesen letzten Blick, diesen letzten Gruß – und mein Herz, das ich mit dir begrabe.“ Die hl. Birgitta bezeugt: „In einem Grab lagen zwei Herzen.“
Hoffnung auch in der Grabesstille
Maria segnete den Stein und sprach, so berichtet Bonaventura: „O glücklicher Stein, du birgst den Leib, den ich neun Monate getragen habe – ich beneide dich.“ Dann übergab sie Jesus dem Vater: „Nimm ihn auf, der dein Sohn und der meine ist.“
Zurück im Haus fand sie nichts mehr – nur Erinnerungen. Bethlehem, Nazareth, seine Blicke, seine Stimme – und dann: Dornen, Nägel, Wunden, geschlossene Augen.
Auf dem Rückweg küsste sie das Kreuz: „Nicht mehr ein Schandholz – sondern Thron der Liebe, Altar der Barmherzigkeit.“
Und wir? Wir stehen mit ihr. Wir schauen auf den verborgenen Christus – auf die Grabesnacht – und lernen von ihr: zu glauben, wenn alles verloren scheint. In ihr verkörpert sich die Kirche des Karsamstags: allein im Glauben, inmitten der Finsternis, aber voller Hoffnung.
„Lass mich mit dir weinen, o Herrin“, bittet der hl. Bonaventura.
„Du bist unschuldig – ich bin schuldig. Gib mir Anteil an deinem Schmerz.“
Gebet
Meine betrübte Mutter,
ich will dich nicht allein weinen lassen.
Nein, ich wünsche, dich mit meinen Tränen zu begleiten.
Um diese Gnade bitte ich dich heute:
Erwirke mir ein ständiges Gedenken an die Passion Jesu
und an deine eigenen Schmerzen.
Schenke mir eine zärtliche Andacht zu beiden,
damit ich alle verbleibenden Tage meines Lebens
in Reue über meine Sünden
und im Mitleiden mit deinem Schmerz und dem deines Sohnes verbringen darf.
Ich hoffe, dass mir diese Betrachtung deiner Schmerzen
die Kraft und das Vertrauen schenken wird,
in der Stunde meines Todes nicht zu verzweifeln –
trotz all der Vergehen, die ich begangen habe.
Durch deine Schmerzen, o meine Mutter,
möge ich die Gnade der Verzeihung, der Beharrlichkeit
und das ewige Leben erlangen.
Möge ich mit dir einst im Himmel jubeln
und die unendliche Barmherzigkeit meines Gottes preisen
in alle Ewigkeit.
So hoffe ich – so möge es sein. Amen. Amen.
Quelle: de Liguori, Saint Alphonsus. The Saint Alphonsus de Liguori Collection [30 Books] (English Edition) (S.1). Catholic Way Publishing. Kindle-Version.